Sehr geehrte, liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen der heutigen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag,
im Sommer dieses Jahres war ich auf einem Soldatenfriedhof in Budaörs. Das liegt in Ungarn unmittelbar vor den Toren von Budapest. Über 16.000 deutsche und etwa 800 ungarische Soldaten liegen dort begraben; sie starben unter anderem während der Schlacht um Budapest, die zwischen Oktober 1944 und Februar des folgenden Jahres tobte. Der Friedhof liegt zwischen sanften Hügeln als ein großer Park; Bäume säumen ihn, gepflanzt zur Erinnerung, zum Gedenken und wohl auch als Zeichen der Hoffnung. Es war ein warmer, schöner Tag, die Hügel sonnenbeschienen und meine kleine Enkeltochter fuhr fröhlich auf einem Rutsche-Fahrrad über die Wege. Krieg kennt sie nicht. Ich dachte: Was für ein Kontrast: diese friedliche, anmutige Landschaft, dieser herrliche Tag, das Lachen und die Unbeschwertheit eines Kindes. - Was aber mögen die Menschen gesehen, erlebt, getan haben, an deren Gräbern ich vorüberging und innehielt? Ich stellte mir immer wieder vor: Was für ein Mensch steht hinter den Namen, die ich auf den Grabsteinen las? Rechnete immer wieder: Wie alt ist er geworden, nur geworden? Was für ein Mensch mag er gewesen sein? Was waren seine letzten Gedanken oder Worte? Wie groß das Leiden, die Schmerzen, die Angst, die Verzweiflung, die er selbst erlitt und die er über andere brachte? Wie groß die Hoffnung, die Sehnsucht: Ich komme heil heraus, ich komme wieder nach Hause?
Heil herauskommen, die Sehnsucht, dass alles heil und gut wird, das ist die Sehnsucht nach Frieden. Ganz besonders der Menschen, die, wo auch immer, unter Menschenverachtung, Brutalität, Unrecht, Gewaltherrschaft, Lieblosigkeit in ihren vielen schlimmen und schlimmsten Formen zu leiden hatten und zu leiden haben.
„Die Toten dieses Friedhofs mahnen zum Frieden“, so ist auf einer Inschrift dort auf dem Friedhof in Budaörs zu lesen. Über dem Eingang ein Zitat von Albert Schweitzer: „Kriegsgräber sind die großen Prediger des Friedens.“ Ja, das stimmt. Auch jede und jeder von uns würde wohl zustimmen. In der Präambel unseres Grundgesetzes ist als Auftrag formuliert, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Vermutlich ist die ganze Welt pro Frieden, für Frieden. Nur: Warum gibt es dann Streit, Kampf, Gewalt, Krieg? Warum sieht es dann in der Welt an so vielen Stellen unfriedlich, friedlos aus?
Zu den Inschriften auf jenem Friedhof gehörte an einer Stelle auch diese, ein Zitat des Philosophen Carl Jaspers: „Die Frage des Friedens ist keine Frage an die Welt, sondern eine Frage an jeden selbst.“ - Wie friedfertig, friedenstiftend ist eine jede, ein jeder von uns persönlich? Jede, jeder möge die Frage nicht zuletzt an sich selbst richten: Wie friedfertig, friedenstiftend bin ich? Und das in all den Situationen, vor die wir Tag für Tag gestellt sind. „Frieden“ ist ein großes Wort, schnell und gerne gesagt und wohl doch oft viel zu wenig gelebt. Wie wird Frieden Wirklichkeit? Es gibt dafür keine allgemeingültigen Handlungsanweisungen. In der jüdisch-christlichen Tradition ist Frieden eine Übersetzung des hebräischen Wortes „schalom“. Und das meint ein Gut- und Heilsein des Lebens in jeder Beziehung. In der Beziehung eines Menschen zu Gott, zum Mitmenschen, zur Mitschöpfung und zu sich selbst. Die Aufgabe, vor der entsprechend jeder Friedensbereite steht, lautet: Wie kann ich zur Gut- und Heilwerdung des Lebens beitragen? Wie kann ich in jeder Situation, vor die ich gestellt bin, mit meinen Worten und meinen Taten in heilvoller, wohltuender Weise so lebensdienlich und lebensförderlich wie irgend möglich wirken? Wenn wir möglichst achtsam, sensibel, empfindsam mit unserem Gegenüber, mit der Welt, mit dem Leben umgehen, dann hat Frieden eine Chance. Gott hat uns nicht geschaffen, um zu zerstören, zu verletzen, zu töten, sondern um das uns Mögliche zu tun dem Leben zugute, dem Blühen des Lebens zugute. Friedensstifter zu sein, das ist unsere Würde und unser Auftrag, und so preist Jesus die Friedensstifter selig, glücklich: „Selig sind die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt. 5,9)
Ich danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit.